Von den Pionieren der Bürgerenergie lernen
01.02.2022, Text: Melanie Peschel
Seit teils 20 Jahren und länger sind sie die Pioniere der von der Bürgerschaft getragenen Energiewende: die vielen Bürgerenergiegenossenschaften in Deutschland. Von diesen Pionieren habe ich mittlerweile sehr viel gelernt – und auch gesehen, wo sie teils in der Zeit stehen geblieben sind.
Seit Sommer 2020 gestalte ich gemeinsam mit Franz Ecker und Michael Harder von SmartGridsBW das Projekt “Bürger voller Energie” und habe dabei viele Einblicke in die Strukturen der echten Energiewende-Macher im Ländle erhalten. Im Ländle? Ja, denn das Projekt “Bürger voller Energie” kümmert sich um die BEG, wie Bürgerenergiegenossenschaften oft abgekürzt werden, in Baden-Württemberg. Initiiert wurde das Ganze vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg und wird über den Haushalt des Ministeriums finanziert.

Bild: Melanie Peschel
Bürgerenergiegenossenschaften in die Zukunft beamen
“Projekt” – das klingt erstmal sehr “schaffig”, wie der Schwabe sagt. Und es wird auch tatsächlich so Einiges geschafft. Zusammen mit den beiden verantwortlichen Spitzen der beiden Verbände BWGV Baden-Württembergischer Genossenschaftsverband e. V. und VBBW Verband der Bürgerenergiegenossenschaften in Baden-Württemberg e.V. gab und gibt es für Interessierte aus dem Kreise der BEGs umfassende Angebote, um die eigene Organisation in die Zukunft zu beamen. Das klingt ganz so, als wären BEGs in der Vergangenheit stecken geblieben? Das ist nicht zutreffend, aber dennoch hat die Orientierung in Richtung Zukunft einen wichtigen Ursprung: Bürgerenergiegenossenschaften wurden in den vergangenen Jahren aus dem Kreis der Energiewende-Akteure aktiv verdrängt. Durch die neuen Ausschreibungsrichtlinien seit einigen Jahren wurde es für zahlreiche BEGs schwer, eine Chance auf einen Zuschlag für neue Projekte zu erhalten. Mitunter liegt das auch daran, dass BEGs sich eben gern mit den Geldern der Bürgerinnen und Bürger nur lokal engagieren wollen und nicht überregional – bislang gibt es da nur wenige Ausnahmen. Zudem sind die bürokratischen Auflagen für neue Windparks immens – meterlange Leitz-Ordner füllen die Regale, bis ein Antrag vollständig vorliegt.
Mehr Chancen für Bürgerenergie mit der Ampel-Koalition
Die bis dahin investierte Arbeitszeit erfolgt in großem Maße ehrenamtlich, neben und nach dem eigentlichen Job, oft in den Abendstunden und an den Wochenenden. Nicht jeder hat nach Jahren des ehrenamtlichen Engagements Muße, sich hier nochmal reinzuhängen, wenn die Erfolgsaussichten zudem trüb sind. Die Geschichte der Zukunft könnte nun aber neu beginnen: Die Ampel-Koalition tischt mit ihrem Koalitionsvertrag erfreuliche Aussichten für die Bürgerenergie auf. Mehr Unterstützung, weniger Bürokratie, mehr Chancen auf Umsetzung. Summa summarum: Chance auf mehr installierte Leistung an Erneuerbarer Energie statt Lippenbekenntnisse zur Energiewende. Denn darum gehts am Ende: Wir brauchen Solaranlagen auf Dächern und auf vernünftig nutzbaren Freiflächen. Wir brauchen Onshore-Windkraftanlagen, wo die Messwerte gute Ergebnisse versprechen und umweltverträgliches Bauen möglich ist. Wir brauchen dezentrale erneuerbare Energien in Bürgerhand, um die Energiewende der nächsten wenigen Jahre aus der Mitte der Gesellschaft neu entfachen. Dazu schreiben aktuell im Tagesspiegel Dr. Brigitte Knopf und Arwen Colell vom Mercator Institut (MCC) unter dem Titel „Teilhabe ist mehr – Energiewende gesellschaftlich tragen“. Genau das schaffen die Bürgerenergiegenossenschaften.

Bild: Melanie Peschel
Was der frische Wind bringen muss
Viele der BEG scheinen in der Zeit stehen geblieben, wenn man die Website-Auftritte oder nicht vorhandenen Social Media-Präsenzen als Messwert betrachtet. Die Kommunikation der BEG ist nicht auf der Höhe der Zeit – und das ist auch nachvollziehbar, woran das liegt: Die investierte, in großem Maße ehrenamtlich getätigte Zeit geht für Verwaltungs-Maßnahmen drauf, die unumgänglich sind. Wer nicht als Digital Native aufgewachsen ist, kann auch mal nicht eben bei Online-Diensten einen Homepage-Baukasten zusammenklicken und rasch noch die Facebook-API integrieren, um die Website auf aktuellen Stand zu bringen. Kommunikation erfolgte erfolgreich über die Lokalzeitungen, die bis heute eine wichtige Rolle für die Kommunikation im eigenen Ort mit wenigen Kilometern Umkreis spielen. Social Media ist für Viele ein Mysterium, denn es macht Ungeübten teils Angst, etwas “falsch” zu machen. Dann lieber gar nicht online zu gehen, so die Schlussfolgerung. Was verständlich ist, wenn man mit offenen Augen durch Twitter, Facebook und Instagram surft: Klimaschutz-Aktivisten, nicht nur Luisa Neubauer oder Greta Thunberg, müssen sich ständig Negativ-Kommentaren, Trollen oder gar Hatern zu Wehr setzen. Für ein solches Community-Management haben Ehrenamtliche gar keine Zeit, geschweige denn die Übung, versiert damit umzugehen.
Vorstand gesucht: Bürgerenergiegenossenschaften vergeben renommierte Jobs
Der frische Wind für die Bürgerenergiegenossenschaften muss also Skills im Umgang mit digitalen Medien mitbringen, ebenso wie Interesse an Bürgerenergie, Motivation fürs Ehrenamt, Zeit neben Studium oder Beruf und zudem Kommunikations-Kompetenzen, Wissen in wirtschaftswissenschaftlichen Fragestellungen, technisches Verständnis, konkrete Vorstellungen zu Energiewende-relevanten Projektvorhaben und natürlich ein Teamplayer sein. Eine Jobbeschreibung, die sich äußerst ambitioniert darstellt. Ehrenamtliche aus dem Raum der Schwäbischen Alb ließen mich wissen, dass ihre Suche nach einem neuen Vorstand schon seit Monaten erfolglos ist, sie aber nicht aufgeben.
Bürgerenergiegenossenschaft neu gründen oder bei bestehenden Bürgerenergiegenossenschaften mitmachen?
Ohne Frage: Die Vorteile beim Mitmachen vorhandener BEG liegen auf der Hand: Erfahrene alte Hasen können ihr Wissen weitergeben und machen es damit leichter, rasch Ergebnisse zu erzielen: neue Projekte in Form von Dachflächen finden, vorhandene Netzwerke nutzen, die bestehenden Strukturen weiterentwickeln mag oftmals die kleinere Hürde sein. Und viele BEG suchen händeringend nach Nachwuchs. Nachwuchs ist übrigens nicht zu verwechseln mit der Suche nach extrem jungen Menschen im Schüleralter, wobei auch diese willkommen sind. Mit Nachwuchs sind vor allem Menschen gemeint, die neu ins Bürgerenergie-Business einsteigen möchten und durchaus auch schon mitten im Berufsleben stehen: je mehr Erfahrung, umso gewinnbringender für die Genossenschaft, die selbst ja als wirtschaftlich tätige Organisation viel Verantwortung übernimmt. Schließlich möchte keiner, dass Geschäftsmodelle auf wackligen Füßen stehen und ihre Einlage sicher wissen – und auf gute Rendite hoffen.
Neugründungs-Vorhaben sind ebenso motivierend, weil darin der Reiz des Schaffens aus eigener Kraft und nach eigenem Gusto liegt. In Gera ist eine vollkommen neue Bürgerenergiegenossenschaft entstanden – und obwohl es noch keine installierten Anlagen gibt, kann man als Interessierter schon allerhand über die Bürgerenergie in Gera erfahren – auf Youtube und der eigenen Website . Das zeigt, wie wichtig Kommunikation ist: wer von Beginn an transparent, motivierend und authentisch das eigene Bürgerenergie-Vorhaben öffentlich macht, kann auf viele engagierte Mitwirkende hoffen. Auf Gera bin ich beim Stadtwerke Impact Day aufmerksam geworden, über einen motivierenden Vortrag mit dem Titel „Energie, Energie, Energie 🔋 und immer an die Bürger denken!“. Das Mitmachen bei solchen Veranstaltungen aber auch der Kontakt zur Lokalpresse sowie die Kommunikation auf den eigenen Kanälen ist ein Türöffner, um Presseberichte sowie digitale Reichweite zu generieren, die wiederum die Bekanntheit in der Region steigern kann.
“Bürger voller Energie” in Baden-Württemberg
Das Projekt “Bürger voller Energie” ist in Deutschland einzigartig: Nirgendwo sonst gibt es vom Land so viel Unterstützung für die Bürgerenergiewende wie in Baden-Württemberg. Alle Angebote – vom Kommunikations-Coaching bis zum Geschäftsmodell-Workshop – finden sich auf der Website des BWGV wieder. Dort findet sich unter anderem eine Best-Practice-Sammlung, denn man muss nicht alles neu erfinden. Von den Besten lernen hilft, schnell Ergebnisse zu erzielen. Individuelle Coachings oder Zukunftsworkshops begleiten Interessierte dabei, ihre Ideen in Geschäftsmodelle zu überführen, die unerlässliche Grundlage für die wirtschaftliche Projektierung von Solaranlagen, Windparks, Ladesäulen, Nahwärmenetzen oder Blockheizkraftwerken sind. Bei Coachings werden die Bürgerenergiegenossenschaften über mehrere Monate methodisch strukturiert begleitet, um sich neu aufzustellen. Zukunftsworkshops sind die kompakte Intensiv-Begleitung innerhalb von Tagen, um sich für die Energiezukunft fit zu machen. Allein in 2020 und 2021 gab es über zwei Dutzend Online-Seminare, Online-Kongresse und Praxis-Dialoge, an denen man kostenfrei teilnehmen konnte. Auch in 2022 wird es eine große Auswahl solcher Angebote geben. Die diversen Formate wurden übrigens auf Basis einer Bedarfsumfrage weiterentwickelt, um exakt nach den Bedürfnissen der Betroffenen aus dem Kreis der Bürgerenergie Angebote zu schaffen. Bestimmt gern berichten die Vorstände der Ettenheimer Bürgerenergie über das Angebot, wenn Interessierte Erfahrungen aus erster Hand hören möchten.
Jetzt ist die zweitbeste Zeit, bei der Bürgerenergie mitzumachen
Warum nur die zweitbeste Zeit? Weil die beste Zeit gestern war. Und morgen wird es nicht vorteilhafter, daher gibt es keinen Grund, zu warten. Hier teile ich meine Schritt-für-Schritt-Anleitung, um aktiv zu werden und freue mich über weitere Ideen und Rückmeldungen vial Email oder auf LinkedIn.
Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Bürgerenergie
Schritt 1: In Erfahrung bringen, ob es im eigenen Wohnort oder Nachbarort bereits eine Bürgerenergiegenossenschaft gibt, wenn ja: Kontakt aufnehmen und in den Austausch gehen.
Schritt 2: Ideen sammeln für mögliche Projekte im eigenen Umfeld: ein Blick auf die Dachflächen ist aufschlussreich, die wachsende Anzahl der Elektroautos auf den Straßen braucht Ladesäulen, die auch aus Bürgerhand betrieben werden können – auch gemeinsam mit den kommunalen Stadtwerken. Ideen findet man auch beim Surfen über besonders „schaffige“ Bürgerenergiegenossenschaften. In Berlin vorbeischauen, wo Bürger*innen das Stromnetz zurückerwerben möchten, oder in Heilbronn bei EnerGeno, in Schönau im Schwarzwald – ja: EWS, die Stromrebellen, waren wohl die frühesten Pioniere in Sachen Bürgerenergie, um ein paar Empfehlungen auszusprechen.
Schritt 3: Die Bürgermeister*in und Stadträte ansprechen oder anrufen oder eine Mail senden und das Vorhaben platzieren. Die kommunalen Klimaziele sind der Grund dafür, dass Engagierte bei den kommunalen Verantwortlichen offene Türen einrennen sollten, wenn es darum geht Hilfe zu erbitten.
Schritt 4: Mit der örtlichen Sparkasse oder Volksbank ins Gespräch kommen – oft sind hier potenzielle Partner da, die eine Schlüsselrolle im Vorhaben sein können.
Schritt 5: Nach engagierten Personen des öffentlichen Lebens in der eigenen Stadt oder Kommune suchen: Wer tut sich in Sachen Klimaschutz und Energiewende hervor und hat etwas zu sagen? Dabei hilft sowohl der Blick in die sozialen Netzwerke als auch in die klassische Lokalpresse, das Amtsblatt, die etwaigen Stadtanzeiger.
Schritt 6: Von den Dachverbänden lernen. In Baden-Württemberg ist die zentrale Website des BWGV erste Anlaufstelle, entsprechend haben auch die anderen Bundesländer eigene Ansprechpartner für die Genossenschaften. Denn: Jede Bürgerenergiegenossenschaft wird mit Gründung Pflichtmitglied im landeseigenen Genossenschaftsverband und erhalt von diesem zahlreiche Beratungs-Unterstützung schon in der Gründungsphase. In Baden-Württemberg gibt es zusätzliche Leistungen vom VBBW e.V., eine Blick auf die Video-Interviews mit der ehrenamtlich tätigen Vorständin Elisabeth Strobel ist dazu sicherlich aufschlussreich.
Schritt 7: Die klassischen Projektmanagement-Tipps beherzigen. Eine eigene Vision formulieren, die beantwortet: Warum machen wir das eigentlich? Eine Ziel-Definition formulieren. Einen Business-Plan erstellen, der in der Rohfassung auch als handgeschrieben Notizen ausreicht. Jeder erste Schritt ist unscheinbar.
Schritt 8: Den besonderen Zauber finden und wie einen Schatz bewahren. Jede Bürgerenergiegenossenschaft ist ein Herz der Energiewende, welches zuverlässig schlägt. Mit Herzblut ihrer Gründer und Mitglieder. Diesen besonderen Zauber machen die Menschen aus, die sich im Bürgerenergie bemühen – trotz aller Hürden und Anstrengungen.
Danke an die Pioniere der Bürgerenergie
An dieser Stelle ein großes Danke an die Pioniere der Bürgerenergiewende. Die Mitmachenergiewende, wie ich sie auch immer wieder bezeichne, lag seit jeher in eurer Hand und liegt weiterhin in unser aller Verantwortung. Jetzt ist die beste Zeit zu starten – warum eigentlich nicht? Wer mehr über das Durchstarten mit der Bürgerenergie erfahren möchte abonniert jetzt den Bürgerenergie-Newsletter von Tracemaker.